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Herbsten 2009
04.10.2009 22:02 (11439 x gelesen)

Herbsten wie im Sommer
Die diesjährige Baselbieter Weinlese ist ein Traum    Von Susanna Petrin

So möchte man auch Winzer sein: An herrlichen Altweibersommertagen schneiden heuer die Erntehelfer die süssesten Trauben von den Reben.


Kein Werbefilm für den Bauernstand könnte ein fröhlicheres Bild des alltags auf dem Lande zeichnen:
Eine Gruppe glücklicher Menschen schneidet auf einem sonnendurchtränkten Rebhang inmitten einer lieblichen Hügel-
landschaft eine pralle Weintraube um die andere ab.Deren Beeren sind aussergewöhnlich gross, gesund und zuckersüss – so manche haben die 80-Oechslegrad-Grenze überschritten. Am Himmel kreisen sechs Rotmilane.
Die idyllische Szene spielt sich auf Fredy Löws Rebhang über dem Dörfchen Buus ab.
Doch nicht nur hier, sondern im ganzen Baselbiet, vermutlich sogar in halb Europa, ist die diesjährige Weinlese wie
einem Bilderbuch entnommen.
Es ist der 29. September 2009, und schon plumpsen Löws letzte Riesling-Sylvaner in die grauen Traubenkisten –
dank des warmen Spätsommers zehn Tage früher als üblich. »Es stimmt mich wehmütig, mit der Ernte der Weissen
schon fast fertig zu sein«, sagt Jakob Kaufmann, ein kleiner Weinbauer aus dem Dorf.
Er und ein paar bekannte aus Münchenstein helfen Löw an diesem Nachmittag beim Herbsten.
Und sie tun es gern; lustig hätten sie es, bei solch herrlichem Wetter sowieso. Es habe auch schon Erntetage gegeben,
da habe ihnen der Schnee ins Gesicht geweht oder ein eisiger Wind fast die Finger abgefroren. »Weisst du noch, als
wir die Blauen mal erst im November ernten konnten?«, rufen sich die Helfer zu.
Immerhin gibt vergangenes Unglück später eine gute Geschichte her.
Schnipp, schnipp, schnipp – die Erntenden kommen rasch voran. Fast jede Traube kann komplett verwertet werden.
In anderen Jahren mussten viel öfter faule oder pilzbefallene Beeren mühsam herausseziert werden. Heuer droht den
Trauben höchstens, dass sie nicht in der Flasche, sondern im Mund eines Erntehelfers landen.
»Das macht fast süchtig, so frisch ab Strauch sind sie am besten«, sagt eine Helferin.
Löw billigt derlei Mundraub gutwillig. »Nehmen Sie auch«, sagt er.
 
Bannwarte Patrouillierten.

Früher, da war solches naschen an den
Reben noch ein Delikt. Bannwarte patrouillierten den Bepflanzungen ent-
lang, und sogar der Weinbauer durfte nur
an bestimmten Tagen und nur mit Erlaubnis der Gemeinde in seine eigenen
Reben. Die Gruppe erinnert sich lachend
an alte Zeiten. Mundraub sei ein Problem
gewesen, als noch nicht an jeder Ecke
ein Lebensmittelladen stand.
Ausserdem war der Weinbau wichtig für
die Selbstversorgung.
Bis heute gehört der Rebbau zu den am strengsten regulierten Landwirtschafts-zweigen.
Das bestätigt Andreas Buser vom Landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain in Sissach.
Ein Mindestzuckergehalt ist ebenso vor-geschrieben wie etwa eine Pflanzbewilligung; nicht zuletzt darf ein Weinbauer nur eine Maximalmenge pro Fläche ernten. Das komme aber der Qualität der Trauben zugute, erklärt Löw: »Wenn ich doppelt so viel Trauben hätte, wären sie nicht halb so süss«.
Löw läuft den Reben entlang, zupft da und dort an einem Strauch, zeigt, erklärt. Keiner schneidet die Trauben so schnell
wie er. Nur wenn es aufwärts geht, kommt er ins Schnaufen, denn Löw verkörpert die Vorstellung des geniesserischen
Winzers. Fünf Hektaren Reben, eine davon in Biel-Benken, besitzt der 50-jährige Löw, dessen Familie in der vierten
Generation winzert. Die Ernte umfasse etwa 50 000 Kilo Trauben. Die Weissen machen aber nur ein Fünftel dieser
Menge aus.
Löw keltert den eigenen Wein im Keller seines grossen Bauernhauses, in dem auch seine Eltern wohnen.
Zudem betreibt er eine Rebschule.
113 Hektaren Baselbieter Boden sind laut Buser mit Reben bestockt. Zähle man Basel-Stadt (5) und Solothurn (7)
hinzu, so komme man auf eine regionale Weinbaufläche, die nur 0,9 Prozent der Schweizer Gesamtfläche entspräche.
Zum Vergleich: Im Baselbiet gibt es auf 145 Hektaren Kirschbäume, also nicht viel mehr als Reben.
Doch der Kirschenertrag macht die hälfte der schweizweiten Ernte aus. Trotzdem sei der Baselbieter Weinbau nicht zu
unterschätzen: »Die Wertschöpfung für die Region ist höher, weil das meiste hier verwertet wird«, erklärt Busser.
Glocke läutet Ernte ein.
Die Erntehelfer sind nun fast fertig. Als sie zehn Tage zuvor um 8 Uhr morgens den Rebhang in Angriff nahmen, da läuteten im Dorf zum Auftakt die Kirchenglocken. »Eine schöne Tradition – toll, dass wir die noch pflegen«, sagt Löw.
Die Gruppe kommt sofort wieder ins Erzählen über frühere Zeiten, als die Grossmütter noch den schönsten Rock
anzogen für die Ernte- „wie an einem Feiertag“.
Diese Tradition hat sich nicht halten können: Die Helfer tragen Arbeiterhosen und Wanderschuhe, Löw trägt ein löchriges T-Shirt und eine Latzhose.
Wenn eine Fee ihn wählen liesse; Wo würde er am liebsten einen Weinberg betreiben? »Ach, wo man hinfällt, ist man
halt verwurzelt«, sagt Löw. Er sei gern hier, nein, er würde nicht tauschen wollen gegen einen kalifornischen Rebhang.
»Aber ich wünschte mir, dass wir ein wenig berühmter werden, ich wünschte, dass wir uns eine kleine Scheibe Ruhm von einem Rioja oder Burgunder abschneiden könnten.«
Traubenwickler um den Finger gewickelt
LOCKMITTEL
Der Traubenwickler kann einem fast etwas leid tun.
Denn die Falterart wird in Buusner und anderen Weinbergen
ganz schön reingelegt. Alle 20 Quadratmeter hängen an
einer von Fredy Löws Rebpflanzen rote Kunststoffröhrchen
– das sind Pheromonfallen. Die Kanülen verströmen den
Duft der Sexualhormone des weiblichen Traubenwicklers.
Für die »Nase« des Männchens riecht es deshalb überall
ganz schön weiblich, sodass er seine echten Geschlechtsgenossinnen nicht mehr findet.
Der Traubenwickler wird also gründlich verwirrt.
Die Buusner seien sogar Pioniere in dieser Verwirrtaktik,
so Löw. Gleich nach den Aeschern hätten sie vor 15 Jahren
zu den Ersten gehört, die statt zu spritzen diese »Spaghettidinger« aufgehängt hätten.
SPRITZMITTEL
Überhaupt will eine Rebpflanze das ganze Jahr über gehätschelt werden »wie ein kleines Kind«, sagt Löw. 
Die wuchernde Rebe muss zurückgeschnitten, zurechtgebunden und vor Pilzkrankheiten sowie allerlei
Getier geschützt werden.
Heute benützen Weinbauern aber laut Löw so wenig Spritzmittel als möglich und versuchen stattdessen, das
Optimum dank integrierter Produktion herauszuholen.
Er mähe beispielsweise alternierend, sodass Nützlinge
immer genug Lebensraum haben. Das fördert unter
anderem die erwünschte Raubmilbe, die wiederum die
unerwünschten Roten und Gelben Spinnen frisst – zwei an
Blättern saugende Milbenarten.
Leicht elektrisch geladene Zäune sollen zudem Füchse, Dachse und Marder von den Früchten fernhalten.


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